Wunder vergehen

Gedenkseite Lukas Jansen


unser großes Unglück

 

Lukas verlor als 2-Jähriger, bedingt durch ein Verbrennungstrauma mit abdominellen Kompartmentsyndrom, 2004 seine Milz. Mit schweren Komplikationen kämpfte Lukas sich in den folgenden Monaten ins Leben zurück. Entlassen wurde Lukas im August 2004 mit Penicillinprophylaxe täglich und Parenteraler Ernährung bis 4/2005.

Bis zu diesem Zeitpunkt, war uns die ständige Gefahr, für Sepsis und weitere Komplikationen sehr bewusst. Spätestens mit der Einschulung gab es keine weiteren Einschränkungen mehr. Lukas Entwicklung ging rasant Bergauf.

 

Er gehörte zu den besten Schülern in der Klasse – einfach, weil er unglaublich strebsam, fleißig und kämpferisch war. Er liebte den Fußball, war aktiver Spieler im Verein und aufstrebender Jugendschiedsrichter. Einen Tag vor seinem Tod pfiff Lukas noch ein ganzes Turnier….

 

Im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen wurde Lukas gegen Meningokokken C und Pneumokokken (Pneumovax23) geimpft. Es fanden insbesondere regelmäßige Untersuchungen der Verbrennungsnarben durch die Verbrennungschirurgie und Blutkontrollen zur Vermeidung von Unterversorgung bei Kurzdarmsyndrom statt.

Über besondere Schutzmassnahmen und Risiken bei Asplenie wurden wir nicht informiert. Die Asplenie findet sich nur als Bemerkung im Entlassungsbericht mit Anweisung zur Penicillinprohylaxe in den folgenden 2 Jahren. Keine weiteren Eintragungen ins U-Heft; keine zusätzlichen Schulungen; kein Notfallausweis. Nie hatte mir jemand das OPSI (Overwhelming Post Splenectomy Infection Syndrome) erläutert. Mir wurde zwar beiläufig erklärt, Lukas sei anfälliger für Infekte, dass diese aber binnen kürzester Zeit gar tödlich verlaufen können, das wurde nie erwähnt. Nicht bei den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt nicht bei der Nachsorge in der Verbrennungschirurgie und auch nicht in der Kinderklinik. Insbesondere da Lukas sich so prächtig entwickelte, gerieten mögliche Gefahren komplett in Vergessenheit. Kontrollzyklen wurden mit Lukas heranwachsen größer. Alle freuten sich mit uns über unseren starken Kämpfer. Seit 2008 bekam Lukas keinerlei Medikamente mehr. Er war im Vergleich zu seinen Geschwistern nicht empfindlicher oder Infektanfälliger. Wunder geschehen war unser Programm – jeden Monat, jeden Tag.

 

Der Horror kam aus dem Nichts. Noch am 27.09 pfiff Lukas über mehrere Stunden ein ganzes Jugendfußballturnier. Am 28.09 ging Lukas wie gewohnt zur Schule, keinerlei Infektanzeichen, Unwohlsein etc. Um 13:00 Uhr kam er in der Pause nach Hause essen. Er aß mit großem Appetit. Obwohl Lukas eigentlich noch 2 Stunden Unterricht hatte, kam er um 14:30 Uhr weinerlich nach Hause. Er klagte über Kopfschmerzen und Schmerzen in den Beinen. Da in der Schule und auch in der Familie diverse grippale Infekte unterwegs waren, dachte ich mir nichts. Körpertemperatur war 38,5° C. – wobei Lukas Rücken sich subjektiv für mich viel heißer anfühlte. Mit Ibuprofen legte ich Lukas ins Bett. Er solle sich ausruhen. Wenn es am anderen Tag nicht besser wäre, würden wir morgens gleich zum Arzt gehen. Die Temperatur ist unter Ibu auf 37,5 °C zurückgegangen. Lukas war sehr schläfrig. Mein Freund meinte noch, ich solle ihn gesund schlafen lassen. Aber ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl, konnte es aber nicht beschreiben. Mir fehlten die klassischen Erkältungssymptome wie Husten und Schnupfen. Im Laufe des Tages weckte ich Lukas mehrfach, um ein paar Schlucke zu trinken. Lukas schlief stets sofort wieder ein. Ich war unruhig, hätte nicht schlafen gehen können – konnte mir nicht erklären, was Lukas fehlte.

Bei Temperaturkontrolle abends und weiteren Beschwerden über Kopfschmerzen war Lukas kalt schweißig, hatte einen schnellen Puls ca. 130. Also brachte ich Lukas um 22:30 Uhr ins Krankenhaus und hatte noch Angst, diese mit einem grippalen Infekt zu belästigen und weggeschickt zu werden.

Zunächst sollte sich auch meine Befürchtung bestätigen, die junge Ärztin fragt, warum wir nicht am anderen Tag zum Kinderarzt gehen. Ich erkläre, dass ich es mittags noch für einen grippalen Infekt gehalten, jetzt aber Angst habe. Lukas Zustand habe sich in den letzten Stunden merklich verschlechtert und ich die Symptome nicht Einorten kann.

Da wir nie auf Asplenie sensibilisiert worden sind, gebe ich dies auch an dieser Stelle noch nicht an. Lukas sieht blass aus, gräulich ich sehe einen Ausschlag, die Ärztin wiegelt ab. Meint, dies sei Akne. Ich kann das nicht glauben, schließlich sehe ich mein Kind jeden Tag. Die Ärztin meint, es käme daher, weil Lukas insgesamt gräulich ist. Auf dem Rücken sind es für mich deutlich dunkel lila Flecken. Doch die Ärztin negiert einen Ausschlag. Blutdruck wird gemessen – extrem niedrig (RR 50/30), Puls schnell (135), kaltschweißig. Die Ärztin fragt Lukas mit Zuckersüßer Stimme, was er genommen habe, er könne ihr Vertrauen. Die Krankenschwester pflichtet bei RR Kontrolle bei – „der hat bestimmt was genommen!“ Lukas ist wütend verzweifelt, weil er sich nicht ernst genommen fühlt. Und Lukas, er war immer viel zu lieb, viel zu strebsam – ich glaube das nicht! Dies versuche ich auch sehr deutlich der Ärztin klarzumachen. Da sie Lukas jedoch ohnehin auch unter diesen Umständen zur Überwachung stationär aufnehmen möchte und Blut abnimmt, gebe ich zunächst bei.

 

Obwohl die Ärztin Lukas Thorax abhört, das Abdomen abtastet, fragt sie nicht nach den Vorgeschichten der unzähligen Narben auf Lukas Bauch von Laparotomie und mehreren Stomata. Jetzt frage ich nach, ob Vorgeschichte Darm etc eine Rolle spielt. Außerdem gebe ich an, dass Lukas keine Milz mehr hat. Jetzt geht sie mit dem Telefon raus, erste Unruhe taucht auf. Aber die Ärztin ist noch skeptisch – ich höre, wie sie am Telefon angibt: angeblich keine Milz mehr – dabei erzählt Lukas Bauchdecke eigentlich alles. Es ist inzwischen 23:30 Uhr als wir auf Station kommen. Wieder gebe ich an, dass sich ein Ausschlag entwickelt zum ersten Mal, sagt die Ärztin, dass Lukas sehr schwer krank ist. Gleichzeitig kommen wohl erste Laborergebnisse – und hiermit sofortige Verlegung auf die Intensivstation!

0:00 Uhr Ankunft. Wir werden von einer Schwester mit zusätzlichem Schutzkittel und Mundschutz erwartet. Für mich nicht unbedingt ungewöhnlich auf der Intensivstation. Die Schwester lässt sofort den Oberarzt verständigen und sagt im selben Satz und Herrn H. verständigen – den Seelsorger. Die Oberärzte werden gerufen und sind wenige Minuten später da. Es werden weitere Ärzte und Schwestern angefordert. Langsam beginne ich zu realisieren, dass hier mit harten Bandagen um das Leben meines Kindes gekämpft wird.

 

Ich kam doch mit einem grippalen Infekt, wollte eigentlich die Versicherung bekommen beruhigt schlafen zu gehen. Mein Kind war doch gerade noch kerngesund??? Zeitweise stehen 4-6 Ärzte am Bett meines Kindes. Mehrere Schwestern ziehen unglaublich viele Spritzen auf. Per Hand wird unglaublich viel in Lukas rein gespritzt. (Antibiose, Volumentherapie; Vasopressoren ; Plasma; aktiviertes Protein C ; ….)Die Ärzte gehen von einer Menigokokkensepsis aus. Kaum 30 Minuten, nach dem mit Behandlungen begonnen wurde, muss Lukas beatmet werden. Beim legen des ZVK fragt Lukas den Arzt, ob er jetzt sterben müsse …

2 Stunden später stirbt Lukas an Herzversagen. Inzwischen ist er tiefschwarz verfärbt, die Hauteinblutungen sind jetzt stark ausgeprägt. (Purpura fulminans fleckige bis flächenhafte Hauteinblutungen Petechien und Sugillationen; deutliche Anzeichen vom Waterhouse Friderichsen Syndrom)

3 Tage später wurden Streptococcus pneumoniae nachgewiesen Serotyp 23B; in keiner Impfung enthalten.

Oft gehe ich diesen Tag durch: Frage mich, an welcher Stelle ich mein Kind hätte retten können?

Wann hätte ich die Sepsis erkennen und von einem normalen Infekt abgrenzen können??? Lukas hatte mittags lediglich erhöhte Temperatur – die von ihm erwähnten Kopf- und Beinschmerzen habe ich als Kopf – und Gliederschmerzen fehl interpretiert. Schmerzen in den Beinen (später bis in den Rücken) waren Anzeichen des Nierenversagens. Und doch für mich keinesfalls erkennbar. Er war doch gerade noch fit. In der Schule, Fußballspielen etc. Lukas war außerdem sehr schläfrig, auch das kommt bei fiebernden Infekten gehäuft vor. Er war weckbar, zu Person, Ort und Zeit bis zur Sedierung komplett orientiert.

Ich habe im Netz das Glasgow Coma Scale gefunden. Lukas wäre demnach nicht auffallend gewesen.

 

 

 

Den qSOFA-Score kannte ich leider nicht!

 

 

 Mindestens 2 der folgenden Kriterien

  • Atemfrequenz ≥ 22/min  l
  •  Systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg  l
  •   Bewusstseinsveränderung
  •  Tachykardie

 

 

 

Hätte ich mit diesem Schema den Notfall früher erkannt? Warum werden Eltern nicht angeleitet auf die Atemfrequenz und Puls zu achten? Blutdruck zu messen?

Wenn dies selbstverständlich würde, wie Fiebermessen, würde es den septischen Schock, den Tod vermeiden können???

Selbst als ich um 22:30 Uhr in die Klinik fuhr, hatte ich nicht erfasst, dass mein Kind todkrank ist. Ich hatte Angst und wollte eigentlich beruhigt werden. So setzte ich mich auch nichtsahnend und wartend in die Notaufnahme. Zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich ohne Laborparameter der tödliche Notfall nicht erkennbar. Lukas ist sehr sportlich und fit gewesen. Nur so ist erklärbar, dass er bereits im septischen Schock die Symptome teilweise kompensiert (eher überkompensiert) hat, und noch auf eigenen Füßen in die Klinik ging. Als wir um 22.30 Uhr in die Klinik kamen, war Lukas nicht mehr zu retten. Das erste Laborergebnis zeigt schon desolate Gerinnungs-; Leber-; und Nierenwerte. Lukas hatte keine Milz mehr. Bei Asplenie (fehlender oder nicht funktionsfähiger Milz) entfällt ein wichtiges Organ für die Infektabwehr. Insbesondere bei einer Infektion mit bekapselten bakteriellen Erregern. Er starb an der gefürchteten, und mit bis zu 5% häufig auftretenden OPSI (Overwhelming Post Splenectomy Infection Syndrome). Das mit ca 70% der Fälle häufigste Bakterium, das ein OPSI-Syndrom, besonders bei Kindern verursacht, ist Streptococcus pneumoniae /Pneumokokken. Jedoch sind ebenfalls Meningokokken sowie Hib/Haemophilus influenzae oftmals verantwortlich für diese fulminanten, fast immer tödlichen Sepsis Verläufen. Die Letalität liegt bei der  OPSI bis zu 90%   

Patienten insbesondere Kinder ohne (funktionierende) Milz sind Hochrisikogruppen und müssen besonders geschützt werden!

 

Ich konnte mein Kind weder schützen noch retten. Dies hat mich tief gebrochen. Doch ist mir Aufklärung und Schutz weiterer Betroffener ein großes Anliegen in Gedenken an mein geliebtes Kind Lukas! Lukas wollte Leben….

 

Eigene Webseite von Beepworld
 
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der
Autor dieser Homepage, kontaktierbar über dieses Formular!